Seit der Eiszeit verkörpert sie die weibliche
Schöpfungskraft - Spurensuche IX
Als Sinnbild der Auffassung, dass der Kreislauf des Lebens
weder Anfang noch Ende hat, galt die Spirale seit der Eiszeit
als eines der heiligsten Zeichen für die weibliche Lebensschöpfungskraft.
Sie findet sich in der prähistorischen Welt von Westeuropa
bis nach Russland, von Nordeuropa bis in den Mittelmeerraum.
Auf Megalithsteinen des Neolithikums ist sie ebenso anzutreffen
wie auf Kult- und Gebrauchsgegenständen der Bronzezeit, sowie
in der kretischen und griechischen Antike. Auch in Catal Hüjük/Anatolien
(um 9 000 v.u.Z.) wurde auf einem Gipsrelief eine Göttin mit
aufgemalter Spirale auf ihrem Leib gefunden.
Und auch die spiralförmigen "oculi", Doppelwindungen, die
an Augen erinnern, finden sich beispielsweise auf Schwellensteinen
von New Grange/Irland und im Tempel von Al Tarxien auf Malta.
Schoß - Vulva - Labrys
Die Spirale kann als Verknüpfung von lebensspendendem Frauenschoß
und lebenerhaltendem Kosmos gesehen werden. Schon um 22.000
v.u.Z. dominiert die Spirale neben Schoßdreiecken und Vulven
entweder auf (runden) Frauenleibern oder für sich als Abstraktion
eiszeitliche Reliefs und Felszeichnungen. In stilisierter
Form begleitet dieses Symbol die Menschheitsgeschichte als
Kreis mit Punkt in der Mitte, als Spirale oder auch als Labyrinth
(vgl. Labrys - Doppelaxt). Das spiralförmige Labyrinth tritt
ebenfalls europaweit auf, es hat sich aus der dreifachen Spirale
entwickelt.
Werden und Vergehen
An der Spirale ist abzulesen, dass die "Form der von innen
nach außen sich entfaltenden Linie Zeichen des Wachstums und
des Lebens war, als von außen nach innen sich rollendes Band
das Symbol der Rückkehr zum Urbeginn und des Todes ...", wie
Meier-Seethaler schreibt. Sie vermutet, dass auch dem Zickzack-Band
und der Wellenlinie die Lebens- und Todessymbolik zugrunde
liegt.
Barbara Walker beschreibt die Vorstellung von Tod und Wiedergeburt
mit dem Sinnbild der Spiralbewegung als "den Eintritt in den
geheimnisvollen Schoß der Erde, dem Vordringen bis zu seinem
Mittelpunkt und dem Verlassen des Schoßes auf demselben Weg".
Aneignungen und Ausläufer
Die GriechInnen übernahmen das Spiral-Symbol um etwa 1150
v.u.Z. mit dem Omphalos, dem Nabel der Welt. Im Heiligtum
von Delphi symbolisiert dieser Stein den rundgewölbten lebenspendenden
Leib der Göttin.
Die alten Sakraltänze wurden in Spiralbewegungen getanzt.
Die heutigen Volkstänze, welche aus heidnischer Tradition
stammen, sind nach wie vor in Spirallinie angeordnet, so dass
die TänzerInnen von innen nach außen und wieder zurück wechseln.
Und ebenso lief der magische Lithuus-Stab der römischen Orakelpriesterinnen
an seinem oberen Ende spiralförmig aus. Dieser wurde übrigens
mit dem Krummstab von den christlichen Bischöfen übernommen.
(dabu)
Buchtipps:
Carola Meier-Seethaler:Ursprünge und BefreiungenMünchen (Kore)
1997
Marie König:Weib und MachtFrankfurt/Main (Fischer) 1980
Barbara Walker:Die geheimen Symbole der FrauenMünchen (Kore)
1997
01.03.2002, dieStandard.at |