Heft 41/2001 Profil
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Der edle Milde
Kulturpolitik. Der neue Wiener
Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny hat keinen fehlerfreien Start hingelegt.
Die Direktorensuche für das Theater in der Josefstadt wird jetzt zur wichtigen
Bewährungsprobe.
Von Rosemarie Schwaiger
Geplant war ein richtig netter Abend: Erst eine launige Ansprache, dann
ein Umtrunk mit gut aufgelegten, zufriedenen Menschen. Bestimmt würde sich hin
und wieder ein dezenter Hinweis auf die üppig fließenden Fördermillionen
einflechten lassen. Und bestimmt würde das Publikum dann nicken und angemessen
beeindruckt sein. Ist ja heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr, dass
Kultur was kosten darf.
So ähnlich hatte sich der
Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny seinen Abendtermin am 3. Oktober
vorgestellt. Auf dem Programm stand die Eröffnung des Tanzquartiers - unter den
gegebenen Umständen ein deklariertes Heimspiel. "Immerhin zahlt die Stadt
80 Millionen Schilling im Jahr", erklärt Mailath, wieso er eigentlich mit
einer Woge von Sympathie gerechnet hatte.
Doch kurz bevor der Stadtrat
ans Rednerpult trat, zerstörten ein paar aufgebrachte Damen das Idyll. Barbara
Klein und ihre Mitstreiterinnen von der Initiative "Kosmos.
Frauenraum" enterten Bühne und Mikrofon, entrollten ein Transparent
("SP - Mit Glied") und wetterten gegen die - ihrer Meinung nach -
eklatante Bevorzugung männlicher Kulturschaffender. Mailaths Schlussfolgerung:
"Irgendwer fühlt sich immer benachteiligt."
Seit dem 27. April ist der
42-jährige Mailath-Pokorny Wiener Kulturstadtrat. Nach viereinhalb Jahren unter
VP-Stadtrat Peter Marboe ist dieses wichtige, großzügig dotierte Ressort
(Jahresbudget: rund zwei Milliarden Schilling) nun wieder zur SPÖ heimgekehrt.
Allerdings dürfte Mailath im ersten halben Jahr seiner Tätigkeit bereits
aufgegangen sein, warum Bürgermeister Michael Häupl die Kultur seinerzeit so
herzlich gerne an die Volkspartei abgetreten hat. Nichts bürgt in Wien so
zuverlässig für Ärger (die Hundstrümmerlfrage vielleicht ausgenommen) wie die
Verwaltung der hohen Kunst. Irgendwo zwischen den Bedürfnissen der Künstler,
den Wünschen des Publikums, der Großzügigkeit des Finanzstadtrates, dem
persönlichen Geschmack von "Kronen Zeitung"-Herausgeber Hans Dichand
und den diversen Eitelkeiten aller Beteiligten gibt es möglicherweise eine
Ideallinie - nur zu finden ist sie schwer.
Zu (wenig) rot
Andreas Mailath-Pokorny
gelang dies bisher deutlich schlechter als seinem Vorgänger. Der Newcomer sei
zu sehr SP-Ideologe, kritisieren politische Gegner - während von manchen
Genossen zu hören ist, dass er zu wenig (oder zu spät) Linientreue an den Tag
lege.
Fakt ist, dass Mailath in
seiner Aufwärmrunde als Stadtrat bereits ein paar Stolperer passiert sind, die
sich nur mit sehr viel Reklameaufwand als große Sprünge verkaufen lassen:
Seither matchen
sich die verschiedenen Interessengruppen in aller Öffentlichkeit. Franz Morak,
Kulturstaatssekretär und Mailath-Gegner, war von Anfang an gegen die
Ausschreibung und ließ durchblicken, dass er die Entscheidung der Jury nicht
als bindend erachten werde. Die Josefstadt-Belegschaft steht hinter ihrem
Direktor Helmuth Lohner, der lieber gleich seinen Freund Karlheinz Hackl als
Nachfolger installiert hätte. Die Entscheidung über den neuen Direktor soll in
den nächsten Tagen fallen (siehe Kasten).
Er habe endlich das Gerede
beenden wollen, wonach höhere Ämter im Wiener Kulturbetrieb unter alten
Freunden ausgemauschelt werden, rechtfertigt sich Mailath. Ex-Kulturstadtrat
Peter Marboe (der mit den Ausschreibungen aus dem gleichen Grund begonnen hat)
kritisiert die Vorgangsweise seines Nachfolgers in diesem Fall. "Für die
Josefstadt wäre eine geladene Ausschreibung der bessere Weg gewesen",
meint er, "dafür ist freilich eine gute Kenntnis der Szene
Voraussetzung."
Kompromiss
Mailath-Pokorny war als
Kulturstadtrat nicht erste Wahl. Bürgermeister Häupl wäre es am liebsten
gewesen, wenn Marboe eine zweite Amtszeit absolviert hätte - ein Plan, den der
fulminante Wahlsieg der SPÖ am 25. März zunichte machte. In der anschließenden
Personalsuche fiel Mailaths Name erst relativ spät. Der ehemalige
Vranitzky-Sekretär, der zuletzt als Sektionschef im Kulturstaatssekretariat
arbeitete, galt vielen als klassische Kompromisslösung: ein überzeugter Roter
und trotzdem in der Lage, die erfolgreiche Linie seines VP-Vorgängers
weiterzuführen.
Doch der populäre Altvordere
hängt wie ein schwarzer Schatten über Mailaths ersten Monaten als Stadtrat.
Versucht er eine eigene Linie abzustecken, wird ihm schnell vorgeworfen,
bewährte Reformen wieder rückgängig zu machen. Macht er einfach weiter wie
bisher, heißt es, Mailath begnüge sich mit der Verwaltung eines üppigen Erbes.
Bei fast allen großen Eröffnungen der letzten Monate sah sich Mailath genötigt,
fairerweise darauf hinzuweisen, "dass eigentlich mein Vorgänger dieses
Projekt initiiert hat". Und als er am Mittwoch letzter Woche auf der
Frankfurter Buchmesse zur Begrüßungsrede vor dem österreichischen
Gemeinschaftsstand schritt, passierte Hauptverbandspräsident Anton Hilscher ums
Haar ein peinlicher Lapsus. "Besonders herzlich begrüße ich den Wiener
Kulturstadtrat, Dr. Pe…, äh, Dr. Andreas Mailath-Pokorny", kriegte
Hilscher gerade noch die Kurve.
Anschließend zog Mailath mit
beeindruckender Kondition von Verlag zu Verlag und zeigte dabei zeitgleich, was
er gut kann - und warum das nicht immer ebenso gut ankommt: Der zwei Meter
große, schlaksige Politiker ist gebildet, freundlich und in der Lage, mit wem
auch immer worüber auch immer eine halbe Stunde lang nett zu plaudern. Aber
Mailath wirkt dabei oft unnahbar und nicht ganz präsent. Zu den Menschen, die
er besonders bewundere, gehöre der ehemalige Bundeskanzler Franz Vranitzky,
sagt Mailath. "Bei ihm hat man immer gespürt, dass er noch Reserven hat -
sowohl intellektuell als auch psychisch." Kann sein, dass sich Mailath von
dieser Reserviertheit zu viel abgeschaut hat.
Vor kurzem trat der Stadtrat
mit einigen anderen Politikern bei einem Wienerlied-Singabend auf. Begeistert
berichteten die Zeitungen anschließend von seinen komödiantischen Fähigkeiten.
Mailath selbst ist aufgefallen, dass in der Berichterstattung ein ausgesprochen
überraschter Unterton mitschwang: "Seltsam, dass mir das offenbar keiner
zugetraut hat."
In Mailath-Pokornys
Stammbaum tummeln sich einige adelige Herrschaften - ein Umstand, der in Österreich
anscheinend noch immer als hervorhebenswert gilt. Ein Journalist beschrieb ihn
als "edellinken Altösterreicher", André Heller befand: "Ein zwei
Meter großer Kleinadeliger mit roten Wurzeln ist eine schöne Ergänzung für eine
Regierungsmannschaft."
So unangenehm Mailath diese
Schubladisierung im Aristokrateneck ist: Dass er nicht im Gemeindebau groß
geworden ist, kann er nicht leugnen. Mailath-Pokorny verfügt über jene lässige
Art von Manierlichkeit, die man entweder als Kind lernt oder gar nicht. Zur SPÖ
kam er nicht über die Roten Falken oder die Kinderfreunde ("die
Jugendorganisationen haben mich nie angezogen"), sondern über seine Arbeit
als Schulsprecher und Herausgeber einer Schülerzeitung am Akademischen
Gymnasium.
Kultur auf der Insel
Der SPÖ beigetreten ist
Mailath allerdings erst, als er 1986 Beamter im Außenministerium wurde, und
richtig gelernt hat er das politische Handwerk im Vranitzky-Büro mit Kollegen
wie Rudolf Scholten und Max Kothbauer. Die Vermutung liegt nahe, dass es dort
deutlich distinguierter zuging als unter den raubeinigen Wiener
Rathauspolitikern, denen selbst Wohlmeinende ein äußerst bodenständiges
Verhältnis zur Muse attestieren. "Für die Wiener SPÖ ist das
Donauinselfest der Gipfel einer Kulturveranstaltung", spottet Walter
Famler, Herausgeber der Zeitschrift "Wespennest".
In einem Satz schafft es
Famler, die Arbeit des neuen Stadtrates zu loben, seine Zufriedenheit mit
dessen Vorgänger hervorzuheben und insgesamt seine Freude darüber auszudrücken,
"dass die Kultur endlich wieder bei der SPÖ ist" - Donauinselfest hin
oder her. Aus diesen Zutaten eine Job-Description für den Wiener Kulturboss zu
destillieren dürfte sich schwierig gestalten.
Dietmar Steiner, Leiter des
Wiener Architekturzentrums und ein alter Mailath-Freund, versucht es dennoch:
"Für mich vereinigt er die positiven Eigenschaften von Ursula Pasterk und
Peter Marboe."
Die Opposition kann dieser
Polit-Kreuzung fürs Erste nicht viel abgewinnen. "Mailath ist ein
angenehmer Mensch", lobt die Grüne Marie Ringler zwar. "Aber er hat
überhaupt keine Hausmacht in der Wiener SPÖ und kann sich deshalb nicht
durchsetzen." Peter Marboe fühlt sich in seiner Prophezeiung bestätigt,
dass die Bedingungen für einen Kulturstadtrat in der Alleinregierung schlechter
werden würden. Für ihn sei ein Nein von Finanzstadträtin Brigitte Ederer nie
das letzte Wort gewesen. "In der Koalition gab es einfach einen größeren
Spielraum und viele Möglichkeiten, die Dinge nachzuverhandeln."
Seit die SPÖ wieder alleine
den Ton angibt, gilt in der Entscheidungsfindung im Wesentlichen die
Parteihierarchie. Das sind schlechte Voraussetzungen für einen Neuling, der
sich zwar gerne als Kämpfertypen beschreibt, dieses Talent aber noch nie
wirklich unter Beweis stellen musste.
Mailath-Pokorny hat außerdem
selbst dazu beigetragen, sich das Leben schwer zu machen. Zu Amtsantritt bot er
Künstlern, die sich vom Bund schlecht behandelt fühlen, gleichsam Asyl in Wien
an. Wie immer das gemeint war: Aufgefasst wurde es nicht zuletzt als
finanzielle Verheißung. "Auf uns kommen sehr viele Wünsche, Bitten und
ultimative Aufforderungen zu, die Sparmaßnahmen des Bundes auszugleichen",
erzählt Mailath. "Leider wird das nicht in jedem Fall möglich sein."
Radikale Idee
Im Fall des von der Wiener
Arbeiterkammer betriebenen Akzent-Theaters musste es aber offenbar möglich
sein. Als die AK aus Kostengründen drohte, das Theater zuzusperren, sprang
Mailath, ohne lange zu fackeln, mit 3,5 Millionen Schilling aus dem
Kulturbudget ein.
Auf solch unbürokratische
Großzügigkeit sollte die tief verschuldete Josefstadt besser nicht hoffen.
Offenbar schwer genervt von den Quertreibereien der dortigen
Führungsmannschaft, kündigte Mailath - mitten in der laufenden
Direktorenausschreibung - an, dass er wegen der finanziellen Malaise rechtliche
Schritte gegen die Gesellschafter prüfen lasse. Die Idee ist so radikal, dass
sie nicht einmal dem Wiener FP-Obmann Hilmar Kabas einfallen würde. Zu Ende
gedacht, könnte das nämlich bedeuten, dass ein Publikumsliebling wie Helmuth
Lohner (er ist als Direktor auch Gesellschafter) von der Stadt gepfändet werden
müsste.
Das Josefstadt-Dramolett
geriet zur Kraftprobe zwischen Mailath-Pokorny und seinem früheren Chef,
Staatssekretär Franz Morak. Viele Wiener Kultureinrichtungen werden vom Bund teilsubventioniert.
Eine gute Zusammenarbeit wäre also wünschenswert - scheitert aber daran, dass
die beiden einander (trotz gegenteiliger Beteuerungen in der Öffentlichkeit)
nicht riechen können. Mailath fühlte sich seit Moraks Amtsantritt als
Sektionschef gemobbt. Morak nimmt Mailath nicht zuletzt das Asylangebot an die
Künstler übel. Auf der Frankfurter Buchmesse reichte es folglich nur zu einem
kurzen, frostigen Handshake. Anschließend standen die zwei Herren so weit
voneinander entfernt, dass kein Fotograf es schaffte, sie auf ein Bild zu
bannen.
Endlich entscheiden
"Die letzten paar
Monate als Sektionschef waren wirklich übel", erzählt Mailath, während er
versucht, seine X-large-Beine auf dem Rückflug von Frankfurt zwischen die
Sitzreihen zu schlichten. Die vergangenen paar Monate als Stadtrat will er
dagegen ausgesprochen genossen haben. Es sei zwar schon eine Umstellung
gewesen, vom Beamten- auf den Politikersessel. "Aber das Schöne ist, dass
ich jetzt selbst entscheiden kann."
Große Umstürze wird Mailaths
Entscheidungskompetenz aber wohl nicht zeitigen. Geht es nach ihm, sollen die
Leute später einmal von seiner Amtszeit sagen, dass er dem Publikum einen
leichteren Zugang zur Kultur ermöglicht, die nicht-deutschsprachige Kultur
gefördert, das städtische Museum reformiert und die Gleichberechtigung der
Frauen im Kulturbetrieb vorangetrieben hat.
Sehr spannend hört sich das
nicht an. Aber falls ihm das alles gelingt, wird der Kosmos.Frauenraum
irgendwann wohl keine Veranstaltungen mehr stören.