Das Theater Wilde Mischung aus
Berlin zeigt im Wiener kosmos.frauen.raum "Der Schatten der Lawine"
- laut Untertitel: ein Stück für eine "Darstellerin mit Mut".
Vorweg
gesagt: Je länger man den Abend verfolgt, umso stärker regt sich der Wunsch,
daß diese Aufführung zum Pflichtbesuch für Halbwüchsige werden sollte.
Behutsam hat sich die Autorin und Darstellerin Lilly Walden dem
traumatisierenden Thema Vergewaltigung gestellt. Ein heikle Sache - die
ziemlich böse ins Auge gehen kann - aber bei Walden zu einem Plädoyer gegen
die Erziehung zur Wehrlosigkeit wird. Endlich einmal ein Stück, das schon als
Präventivmaßnahme Mädchen zum Zurückschlagen ermutigt, statt zum braven
Erdulden. Tatsächlich ist das Stück seit seiner Uraufführung 1986 der
Klassiker zum Thema sexuelle Gewalt.
Die Situation: Vergewaltigung und Mord an einer Schülerin, weitere
Vergewaltigungen in der Anstalt. Am Vorabend der einberufenen
Gesamtelternkonferenz spielt die Direktorin in Gedanken deren Ablauf durch
und gibt die Stellungnahmen ihrer Lehrerkollegen wieder. Walden schafft das
Kunststück, die unterschiedlichsten Opfer-Täter-Profile zu beleuchten und
dabei immer wieder den Bogen von tiefer Betroffenheit zu spitzem Wortwitz zu
schlagen.
Walden, Ex-Mitglied des legendären Berliner Jugendtheaters "Rote
Grütze", komprimierte mit Co-Autor Attila Hertz zahlreiche Berichte und
Theorien über sexuelle Gewalt zu einem eineinhalbstündigen Monolog: Forsch
und zugleich höchst einfühlsam schlüpft Lilly Walden in fünf Männer- und vier
FRAUENrollen.
Der verklemmte Religionslehrer macht Erziehungsfehler verantwortlich: Walden
mimt einen sich windenden "Schüchti", der aus dem künstlich
gezüchteten Egoismus liebesunfähige Monster erwachsen sieht. Die
Handarbeitslehrerin ist mehr fürs Handfeste: statt Stricken lieber den
qualifizierten Umgang mit dem Messerwerfen. Der Geschichtslehrer, der das
rasende Motorrad braucht, um männlich zu sein, sieht das Problem in der
falschen Erziehung von Männern und deren unerfüllter Sehnsucht nach
Abenteuern.
"Würstchen-Theorie"
Krieg wird zur Perversion dieses Ausdrucks, und daraus entwickelt er die
"Würstchen-Theorie": "Das Militär macht alle Männer zu
Würstchen, und Würstchen . . . vergewaltigen."
Jede fünfte Frau erfuhr Vergewaltigung in der Ehe - die Statistiken des
Chemielehrers sind gnadenlos. Letztlich klagt der alkoholisierte Sportlehrer,
statt Selbstverteidigung hätten die Mädchen bei ihm nur den Hürdenlauf
gelernt.
Jede Figur in der kargen Amtsstube der Direktorin spricht Allzuwahres aus und
findet - bevor die Schule zum paramilitärischen Trainingslager für Mädchen
mutiert - wieder zu einer Relativierung zurück. Ein starker Schluß zwingt zum
Nachdenken. Und dennoch wurde während der ganzen Aufführung viel und
befreiend gelacht.publ
Freitag, Samstag, 20.30 Uhr, Siebensterngasse 42, Tel. 523-12-26
|