DER STANDARD, 11. November 2000
Angriff
auf die Mütter
Angriff auf die Mütter
Aktuell wie damals und heutigen schnell ernannten Experten zur Lektüre
empfohlen: ein Text von Ulrike Meinhof aus dem Jahr 1968, in Kürze auch auf
einer Wiener Bühne zu hören.
Emanzipation war eine Forderung an
Staat und Gesellschaft, Gleichberechtigung dagegen wird pauschal gegen die
Männer erkämpft. Berufstätigkeit gibt dabei der Frau eine partielle
Unabhängigkeit, erlaubt ihr auch, als selbstständiger Konsument aufzutreten. In
einer Welt, in der der Wert des Menschen an seinem Einkommen gemessen wird, ist
diese Konsumenten-Selbstständigkeit naturgemäß die höchste; mit Recht hält man
von diesem Standpunkt aus die berufstätige Frau für emanzipiert. Indem sie den
Arbeitskräftebedarf von Wirtschaft und Administration erfüllt und zugleich ihr
Scherflein zur Zirkulation von Produktion und Verbrauch beiträgt, sich also
systemkonform und angepasst verhält, verhält sie sich richtig. Kurzgeschlossen:
Wenn Emanzipation ein Wert ist und Berufstätigkeit richtiges Verhalten, ist
Berufstätigkeit Emanzipation.
Aber die Frauen sitzen in der Klemme, in der Klemme
zwischen Erwerbstätigkeit und Familie, genauer: Kindern - vorhandenen, zu
erwartenden, gehabten. Haushalt bedeutet Isolierung; "über das Fleisch,
das euch in der Küche fehlt, wird nicht in der Küche entschieden." (Brecht)
Hausarbeit im Haus hat keinen Bezug mehr zu gesellschaftlichen Prozessen,
hauptsächlich wird sie durch die Herstellung der Artikel des täglichen Bedarfs
in der Industrie von Frauen erledigt.
So ist die Unvereinbarkeit von Hausarbeit und
Kinderbetreuung entstanden. Auf die Erwerbstätigkeit der Frauen kann beim
gegenwärtigen Stand der Industriealisierung nicht mehr verzichtet werden. Was
dabei mit den Kindern geschehen soll, ist ein noch ganz und gar ungelöstes
Problem. Dabei kann überhaupt nicht ehrlich darüber diskutiert werden, ob
außerhäusliche Erwerbstätigkeit und Kleinkinderbetreuung vereinbar sind - sie
sind es nicht. Selbst Omas und nette Nachbarinnen sind nur ein unzulänglicher
Ersatz für die Mutter als ausschließliche Bezugsperson. Das ist in zahllosen
Untersuchungen und Veröffentlichungen nachgewiesen worden, müßig, darüber noch
zu streiten.
Gewiss ist eins: die durch die veränderte Stellung der
Frau entstandenen Probleme hinsichtlich der Familie und den Kindern können
nicht von den Frauen allein gelöst werden, dafür muss die Öffentlichkeit, die
Gesellschaft einstehen. Noch tut sie es nicht. Laut Frauenbericht müsste allein
der Bestand an Kindergärten um wenigstens ein Drittel erhöht werden - eine
Zahl, die vermutlich nur auf die Spitze des Eisberges, des Bedarfs, Bezug
nimmt, während die unzähligen Notlösungen der Mütter nicht als Bedarf rechnen.
Statt den Frauen bei der Lösung des Problems zu
helfen, kritisiert man sie seit über hundert Jahren. "Mütterarbeit"
ist das Stich- und Schimpfwort. Ihr eigenes Versagen hat die Gesellschaft mit
dem Angriff auf die Mütter kompensiert, den Anspruch so gar nicht erst
anerkannt, ihn an die Mütter zurückgegeben.
Wie aber soll eine Arbeiterin um bessere Löhne und
Arbeitsbedingungen kämpfen, wenn sie ihre Berufstätigkeit für eine Verfehlung
ihrer wahren Bestimmung halten muss und sie außerdem für vorübergehend hält,
sich von eventuellen Verbesserungen also für sich selbst nichts versprechen
kann? Wenn zur Demütigung durch schlechtere Löhne noch die Verdächtigung hinzu
kommen, sie verhielte sich falsch? Sie sitzt in der Klemme. Im Haus, wo sie
hingehört, kann sie nicht kämpfen, im Betrieb, wo sie kämpfen müsste, ist sie
fehl am Platz. Im Haus sind die Kinder oder kommen, im Betrieb ist die Arbeit. Was
anderes soll sie tun, als sich abrackern? "Nachdenken, woher sie kommen
und wohin sie gehen, sind sie an den schönen Abenden zu erschöpft." (Brecht)
Die studierten, besser gestellten Frauen sind von
dieser Problematik betroffen und auch nicht. Obwohl sie sozial weiter oben
sind, gerieten sie in das Schussfeld der Attacken gegen Mütterarbeit, in die
Ideologisierung der Mutterrolle, die Mädchenerziehung zu Hausfrau und Mutter. Das
kulminiert, wenn sie Kinder kriegen. Mutterschaft kennt keine sozialen
Unterschiede. Bei der neuen Rollenfindung ist die gebildete Frau auf die
gleichen Mittel angewiesen wie die Arbeiterin, setzt sich - wie diese - dem
Verdacht aus, in der Mutterschaft nicht aufgehen zu wollen, gerät psychologisch
unter den gleichen Druck, oft auch in die praktisch gleichen Schwierigkeiten,
mangels Kindergärten und Haushilfen. Sie gerät in die Klemme, wenn auch nur
vorübergehend, da ihr in der Regel mehr Mittel zur Verfügung stehen, die
Probleme zu lösen. Ihre Universitätsausbildung gibt ihr nicht die Möglichkeit,
ihre Lage als Teil einer größeren Auseinandersetzung zu begreifen, die mit ihr
persönlich nur bedingt zu tun hat. Ihre Phantasie, Ihr Einfühlungsvermögen und
ihre Erfahrungen reichen selten aus, sich in die Lage ihrer arbeitenden
Geschlechtsgenossinnen in Industrie und Handel vorzustellen, ihre Moral und ihr
gesellschaftspolitisches Wissen nicht, sich mit ihnen zu solidarisieren. Der
Protest ist fällig. Er findet nicht statt. []
Auszug aus einem Beitrag, der in
"Emanzipation und Ehe" erschienen ist (Hg. Christa Rotzoll, München
1968).
Unter dem Titel Die Würde des Menschen
ist antastbar findet am Montag, dem 13. November, ein Abend über Ulrike Meinhof statt. Der obige und andere Texte werden
vorgetragen. Ab 20 Uhr 30 im Kosmos Frauen Raum, 1070 Wien, Siebensterngasse
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11./12. November 2000