Jazzzeit 11.Oktober 2001

 

Review: Fremd-Körper im Kosmos Frauenraum

 

Projekttheater Vorarlberg

 

PSie quält sich, schreit nach ihrer Mutter und im nächsten Augenblick schilt sie sich, mahnt sich zu mehr Disziplin. Sie kann verbotene Speisen aus dem Efef aufzählen, nahezu alles ist verboten, sie ist perfekt in ihrer täglichen Gymnastik, und sie zwingt ihren Körper nieder, den Fett-Körper. Ihre Eltern tauchen nur als der Mama-Körper auf, der sich hinter Kochen versteckt und als der Papa-Körper, der auf den „Freundlich-Lächeln“-Bildern immer fehlt. Die kurzen Sprachfetzen, die Vivian im Telegrammstil aus sich herausstößt, herauskotzt, zeichnen ein Bild einer hochintelligenten Frau, die sich selbst beobachtend ständig kritisiert. Es ist ein Leben hinter Glas, „Spiegelein, Spiegelein an der Wand, wer ist die dünnste im Land.“
Basierend auf dem Tagebuch der Ellen West, das einen erschütternden Einblick in ihre Krankengeschichte (sie war magersüchtig) gibt, entwickelte der Kärntner Autor Andreas Staudinger einen berührenden Monolog für eine Schauspielerin und eine Tänzerin.
Von Evelyn Fuchs in Szene gesetzt, überzeugt Ex-Model Vivian Bartsch als magersüchtige Frau, die mit ihrem Körper, dargestellt von Butoh-Tänzerin Natascha Wöß, im tagtäglichen Zermürbungskampf liegt. Die Spaltung der Person in ihr intellektuelles Über-Ich und ihr im Gefängnis des Bewusstseins eingesperrten, stummen Körpers trifft die furchtbare psychische Qual dieser Krankheit und die endlose Suche nach Wärme und Geborgenheit. Und als sie für einen Augenblick ihrem Körper gegenüber sitzt, der sich windend und verkrüppelt versucht, sich ihr zu nähern, meint sie mit kleiner Stimme: „Das schlankste, dünnste Wort, das ich kenne ist Ich.“ Nur in ganz kurzen Momenten, wenn beide scheinbar im Einklang nebeneinander gehen, oder gegen Ende einander umarmen, wird zart eine mögliche Lösung angedeutet. Ellen West schied mit 34 Jahren freiwillig aus dem Leben.
Es ist eine berührende Aufführung, die das Thema der Magersucht und Bulimie auf erschreckende Weise, aber sehr einfühlsam vor Augen führt.
(noch zu sehen im kosmos.frauenraum bis 13.10.)rojekttheater Vorarlberg Projekttheater Vorarlberg