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KULTURPOLITIK. Wer nun die Neubesetzung von Theatern
diskutiert, verliert die Aufgaben der Kulturpolitik aus dem Auge.
ANDREAS MAILATH-POKORNY
Wiens Theaterlandschaft ist das Nervengeflecht im Kulturorganismus
unserer Stadt. Jede kleine Veränderung wird seismographisch registriert,
aber gleichzeitig gehen belebende Impulse von diesen Nervenbahnen
aus. Kein Wunder, dass wochenlang emotionsgeladen über Theaterbesetzungen
debattiert wird. Kein Wunder, dass ein neuer Kulturstadtrat vor
allem an den Neubesetzungen im Theaterbereich gemessen wird. Verwunderlich
ist nur, dass sich die Debatte fast ausschließlich um Formalismen
anstatt um Inhalte gedreht hat: wann ausgeschrieben wurde, wer wen
wann kontaktiert hat, ob die Bewerbungsunterlagen vollständig waren.
Meine Grundsätze waren von Anfang an, Offenheit, Vielfalt und Erneuerung
in die Kultur zu bringen. Dazu gehört das Prinzip, Funktionen öffentlich
auszuschreiben, wie das auch in anderen Bereichen selbstverständlich
ist, um den Zugang zu erweitern und die Chancengleichheit zu erhöhen.
Dazu gehört auch mein Anliegen, besonders Frauen zu motivieren,
sich für Führungspositionen zu bewerben. In vielen Fällen sind die
Theaterbesetzungen problemlos über die Bühne gegangen: Mit Thomas
Birkmeir wurde ein junger, engagierter und erfolgsreicher Leiter
für das Theater der Jugend eingesetzt. Im Rabenhof wird es unter
dem Duo Lechner/Welunschek junges, trashiges Volkstheater geben
- und zwar im Rahmen eines sehr wohl überlegten kaufmännischen Konzeptes.
Und schließlich wurde mit Hans Gratzer ein erfahrener und Neuerungen
gegenüber aufgeschlossener Theaterfachmann als Leiter des Theaters
in der Josefstadt nominiert, dessen Bestellung deshalb so schwierig
war, weil seit über eineinhalb Jahren zu viele Entscheidungsträger
in unterschiedliche Richtungen zogen. Auf Ebene der kaufmännischen
Leitungen (Theater der Jugend, Schauspielhaus, Tanzquartier) ist
es auch gelungen, Frauen in Leitungspositionen zu berufen, die in
diesen Positionen teilweise für Millionenbudgets verantwortlich
sind. Hier hat ein Prozess eingesetzt, der hoffentlich immer mehr
qualifizierte, gute Theaterfrauen auch in künstlerische Leitungsfunktionen
bringt.
Vielleicht haben die Konzentration auf diese Theaterbesetzungen
und die öffentlichen Diskussionen darüber dazu geführt, dass die
Anliegen anderer Gruppen weniger wahrgenommen wurden. Doch es ist
auch in anderen Bereichen viel geschehen: So hat die Stadt Wien
ihre Mittel für den kosmos.frauenraum erhöht und den Betrieb entschuldet.
Es gibt bereits konkrete Umsetzungspläne für ein Kindertheater im
Museumsquartiert, das ich für ein sehr guten, sehr wichtiges Projekt
halte. Und Public Netbase, deren finanzielle Unterstützung massiv
angehoben wurde, ist nur ein Beispiel dafür, wie die Stadt Wien
versucht, möglichst umfangreich all das auszugleichen, was dem Bund
keine Unterstützung mehr wert ist. Überall wird das nicht gehen,
und der Bundeskanzler ist an seine Verantwortung als Kunstminister
zu erinnern. Allein im Bereich der darstellenden Kunst betragen
die Kürzungen des Bundes über 50 Millionen Schilling, und die Bundesregierung
wird überlegen müssen, ob sie es sich leisten kann und will, ihre
Metropole kulturell so bloßzustellen. Zusätzliche Mittel für das
Künstlerhaus und die Secession, ebenso wie die Neuorientierung des
Historischen Museums der Stadt Wien sollen den Karlsplatz als weltweit
einmaligen Kunstplatz etablieren. Mit der massiven Erhöhung der
Subventionen für das Filmmuseum nimmt die Stadt Wien erstmals ernsthaft
ihre Verantwortung für das filmkulturelle Erbe wahr und setzt einen
wichtigen Schritt zur Etablierung einer österreichischen Kinemathek.
Dennoch ist die Unzufriedenheit Einzelner in der freien Szene
ernst zu nehmen: Wenn der Eindruck entsteht, Theater würden beliebig
mit Fördermitteln versorgt, während die freien Gruppen nach strengen
Vorgaben durch Fachbeiräte geprüft werden, so erzeugt das Neid und
Unruhe unter den verschiedenen Kulturinstitutionen. Dabei ist genau
das die Stärke in Wiens Kulturlandschaft: das gewachsene, feste
Häuser neben einer lebendigen, sich ständig wandelnden Szene existieren
und sich gegenseitig ergänzen können. Umso mehr wird man sich einer
permanenten inhaltlichen Auseinandersetzung nicht entziehen wollen,
wie die Wiener Theaterlandschaft insgesamt noch durchlässiger und
offener werden kann, ohne dass deshalb gewachsene Qualität verloren
geht. Denn Kunstpolitik muss in ihrem Kern dafür sorgen, dass Räume
diskursiver Öffentlichkeit entstehen können. Das gilt für die darstellende
Kunst ebenso wie für die bildende Kunst, für Film und neue Medien
ebenso wie für die Literatur. Und schließlich muss in Zeiten, in
denen die Tendenz besteht, auch Kunst zu privatisieren, eines klargestellt
werden: Kunstpolitik ist eine öffentliche Aufgabe, genauso wie die
Gesundheitsversorgung und die Sicherheit Aufgabe des Gemeinwesens
sind. Um dieses öffentliche Interesse zu dokumentieren, hat die
Stadt Wien soeben das höchste Kulturbudget der Geschichte beschlossen.
Auch das ein Beweis dafür, dass die Kultur in dieser Stadt in Bewegung
ist.
Andreas Mailath-Pokorny ist Wiener Kulturstadtrat.
aus: Falter 48/01
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